Meine Führungskraft gibt mir emotional nicht das, was ich brauche. Was kann ich tun, damit es mir besser geht?

Mai 03, 2023

Auch als Führungskraft haben Sie, wenn Sie nicht gerade an der Spitze einer Organisation stehen, eine:n Vorgesetzte:n. Dass diese Person Ihnen nicht das bietet, was Sie selbst Ihren Mitarbeiter:innen geben, ist nicht ungewöhnlich. Wenn es für Sie z.B. zu guter Führung gehört, zu loben und Wertschätzung auszudrücken, muss dies nicht für Ihre Führungskraft so sein. Vielleicht sitzt eher ein zahlengetriebener Managertypus über Ihnen und Sie zählen sich eher zum menschenorientierten Leadertypus. Vielleicht haben Sie unterschiedliche Prioritäten. Wie auch immer: Um Lösungsansätze zu finden, müssen Sie zuerst ans Eingemachte. Also fragen Sie sich bitte im ersten Schritt selbst:

  • Wie verhalte ich mich aktuell in dieser Beziehung? Zu welchen typischen Reaktionen neige ich meiner Führungskraft gegenüber? Beschränkt sich unser Kontakt auf das Nötigste, denn ich habe mich bereits aus der Beziehung zurückgezogen?
  • Wie könnte Ihre Führungskraft Sie wahrnehmen? Welches Bild könnte sie von Ihnen haben? Was hat sie Ihnen im Laufe Ihrer Zusammenarbeit z.B. zurückgemeldet?

Bitte notieren Sie Ihre Einsichten.

Diese Übung hat zusätzlich den Sinn, Ihren Interpretationen auf die Spur zu kommen, denn diese sind subjektive Deutungsversuche und nicht zwingend die Realität abbildend. Kurz gesagt: Mit Interpretationen machen Sie sich das Leben unnötig schwer. Sie kreieren lediglich selbstkränkende Gedanken wie in der „Geschichte mit dem Hammer“ von Watzlawick[1]. Trennen Sie sich darum bitte sofort und konsequent von allen Fantasien über mögliche Intentionen Ihrer Führungskraft. Richten Sie stattdessen Ihren Fokus auf das, was tatsächlich ist und worauf Sie Einfluss nehmen können.

Vermutlich haben Sie an dieser Stelle bereits Punkte gefunden, die eher zulasten Ihres Beziehungsverhaltens gehen. Gut, dass Sie sich diese bewusst gemacht haben. Ihre Reaktionen sind sicher nachvollziehbar, denn Sie sind frustriert und befinden sich in einer Negativspirale. Nun ist es aber an der Zeit, das Drehen anzuhalten und auszusteigen. Das können nur Sie selbst tun, anderenfalls wird sich die Situation zuspitzen.

Jetzt stellen Sie bitte eine Liste zusammen, auf der Sie das notieren

  • was Ihnen persönlich fehlt und Sie als Mangel erleben,
  • was Sie sich von Ihrer Führungskraft wünschen und nicht erhalten (erinnern Sie sich dazu an bestimmte Situationen),
  • welche Ihrer konkreten Bedürfnisse abgeholt werden, z.B. vom Team, von der Organisation – und von Ihrer Führungskraft.

Bitte notieren Sie alles, was Ihnen in den Sinn kommt, in drei Spalten. Diese Differenzierung wird Ihnen helfen zu unterscheiden, welche Ihrer Bedürfnisse von der Führungskraft und welche an anderen Orten abgeholt werden. Gleichzeitig erhalten Sie eine Sicht auf alles, was gut läuft. Das ist wichtig anzuerkennen.

Im nächsten Schritt gehen Sie wieder aktiv in den Kontakt mit Ihrer Führungskraft. Nutzen Sie alle möglichen Treffen dazu, z.B. Meetings in grosser und kleiner Runde. Weichen Sie nicht mehr aus, sollten Sie das in der letzten Zeit getan haben. Versuchen Sie bspw., gezielt Positives zu platzieren, insbesondere dann, wenn Sie in der Vergangenheit mehrheitlich Kritik adressiert haben. Versuchen Sie bewusst, ein anderes Verhalten als das von Ihnen Gewohnte auszuprobieren. Zeigen Sie Präsenz aus einer wohlwollenden und klaren Haltung heraus.

Dann suchen Sie bitte das Gespräch mit Ihrer Führungskraft. Vereinbaren Sie einen Termin mit ihr. Ziel des Gesprächs soll sein, Ihrer Führungskraft konstruktiv und freundlich anhand von Beispielen (die haben Sie ja gesammelt) mitzuteilen, was Sie im Arbeitsalltag wahrnehmen und welche Wirkung das auf Sie hat. Es ist enorm wichtig, Ihrer Führungskraft anhand dieser Beispiele ihre subjektiv erlebte Wirkung begreifbar zu machen. Wahrscheinlich weiss Ihre Führungskraft nicht, was ihr Verhalten bei Ihnen auslöst. Nur so lernt sie Sie besser kennen und hat die Chance, sich besser auf Sie einzustellen. Bitte bleiben Sie aber nicht bei diesen Mitteilungen stehen. Formulieren Sie konkret, was Sie sich von Ihrer Führungskraft wünschen.

Stellen Sie im Gespräch einen guten Kontakt her. Behalten Sie Ihr Ziel im Auge und bleiben Sie konsequent in einer konstruktiven Haltung. Machen Sie Ihre Verbundenheit mit dem Unternehmen deutlich. Sprechen Sie z.B. auch aktiv Erfolge an, bei denen Ihr Team und Sie selbst beigetragen haben. Zeigen Sie Ihr Engagement. Sie werden sehen: Das Gespräch entwickelt sich von selbst. Es ist im Interesse Ihrer Führungskraft, dass Ihre Arbeit Erfolg hat. Dass es Ihnen dabei gut geht, ist ein legitimer Anspruch. Diesen Anspruch soll Ihre Führungskraft kennen, denn sie stellt den Rahmen für Ihre Arbeit her.

Bedanken Sie sich abschliessend für das Gespräch. Ihre Führungskraft wird vermutlich dasselbe tun. Sie können zufrieden mit sich sein. Sie haben nun alles getan, was Sie tun können. Dann gehen Sie an Ihren Arbeitsplatz zurück und widmen sich Ihren Aufgaben, Ihrem Team und Ihren Kunden.

Geben Sie dem Prozess jetzt eine Chance. Bleiben Sie dazu konsequent bei Ihrem veränderten Verhalten – und nicht nur dort, wo sich Ihre Wege mit denen der Führungskraft kreuzen. Sie richten Ihren persönlichen Fokus von heute an gezielt auf das, was Ihnen Freude macht. Also alles, was Sie gut können und wofür Sie ein positives Feedback erhalten. Das ist Ihr persönlicher Beitrag zu Ihrem persönlichen Gutfühlen, ihre Selbstfürsorge, die Sie sich schuldig sind. Wenn Sie z.B. bisher dazu geneigt haben, abends zu spät nach Hause zu gehen und erschöpft und unzufrieden den Abend verbringen: Schluss damit. Hören Sie pünktlich auf. Holen Sie die Dinge zurück in Ihren Alltag, die Sie befriedigen. Ist das der Abendspaziergang? Das Fitnessstudio? Das Kochen mit dem Partner oder mit einem Freund? Was auch immer es ist: Es erhält nun einen verbindlichen, fixen Termin in Ihrer Agenda.

Investieren Sie wieder Zeit in Ihr Netzwerk innerhalb und ausserhalb Ihrer Organisation: Was könnte Ihr Netzwerk gerade beschäftigen? Verabreden Sie sich und gehen Sie z.B. einmal wieder gemeinsam Lunchen. Rufen Sie an. Kommen Sie ins Gespräch. Zeigen Sie sich. Holen Sie sich auf diesem Weg gute Energie in Ihren Alltag. Investieren Sie unabsichtlich-absichtsvoll in die Langfristigkeit Ihrer Beziehungen. Es geht dabei nicht darum, dass sich der Kontakt 1:1 auszahlt. Es geht um Kontakt halten, im Gespräch bleiben, vernetzt sein. Es wird Sie reicher machen, so oder so.

Suchen Sie auch das Gespräch mit Ihrer Führungskraft und bedanken Sie sich, wenn Sie positive Veränderungen wahrnehmen. Es wird Ihre Führungskraft freuen, das zu hören. Ihre Bindung wird stärker und tragfähiger werden.

Es kann aber auch sein, dass Sie nach einer gewissen Zeit Ihre Wünsche noch einmal adressieren müssen. Machen Sie das. Sagen Sie Ihrer Führungskraft dann, was gut läuft und was Sie sich weiterhin wünschen. Machen Sie sich bewusst: Es ist nicht einfach, eingeschliffene Verhaltensweisen zu ändern. Gerade in stressigen Zeiten neigen wir alle dazu, unsere alten Muster wiederzubeleben. Wir fallen in diese zurück. An dieser Stelle lohnt sich Grosszügigkeit dem anderen gegenüber. Sie selbst wissen nun zumindest, was Sie tun können, um sich besser zu fühlen.

Setzen Sie sich zu guter Letzt einen Zeitrahmen: Wenn Sie keinerlei Änderungen im Verhalten Ihrer Führungskraft wahrnehmen, sollten Sie sich nach Alternativen umschauen, innerhalb der Organisation oder ausserhalb. Schliesslich wissen Sie nun, was wo läuft, denn durch Ihr Netzwerk sind Sie am Ball. Dann gehen Sie aber auch bitte, denn das sind Sie sich im Sinn Ihrer Selbstfürsorge und -verantwortung schuldig.

[1] Watzlawick, Paul (1983): Anleitung zum Unglücklichsein. München, Piper Verlag.

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